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Männer, warum geht Ihr nicht auf die Barrikaden?!

Geschrieben von Dagmar Merbecks am .
Männer, warum geht Ihr nicht auf die Barrikaden?!
Transgender Symbol © pixelshot / canva.com

Kommentar zum SBG

Nun ist er da, der langersehnte Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz. Vieles, was in den vergangenen Monaten schon diskutiert und befürchtet wurde, haben Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium in den Gesetzentwurf aufgenommen.
  • 1.
    Eine 3-monatige Bedenkzeit, in der die Änderung beim Standesamt noch nicht wirksam ist, sowie eine 1-jährige Sperrung für eine erneute Änderung.

    Diese Klausel kann Schutz vor unüberlegten Änderungen des Geschlechtseintrags bieten. Es impliziert aber zunächst, Menschen wären nicht fähig eine solch gravierende Entscheidung ausreichend zu durchdenken.

    Natürlich kann man befürchten, dass es cis Personen gibt, die „aus Jux“ ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen. Sei es wegen einer verlorenen Wette oder aus Transfeindlichkeit. Mir persönlich wäre – auch beim vereinfachten Verfahren nach dem SBG statt dem TSG – immer noch viel zu aufwändig. Ich ziehe schon nicht gerne um, weil so viele Stellen über die geänderte Adresse informiert werden müssen. Bei einer Namensänderung ist das doch nicht weniger. Dazu diverse Karten – Krankenversicherung, Bank- und Kreditkarten, ÖPNV-Abo etc. – die geändert werden müssen. Dazu kommt das Comingout. Beim Arbeitgeber beispielsweise. Ob cis Personen sich das wirklich freiwillig antun wollen? Ich weiß nicht…

    Wenn unbedingt eine Schutz- oder Missbrauchsverhinderungsklausel in das Verfahren eingebaut werden soll, würde ich mir erhoffen, dass sie durch ärztliche Atteste außer Kraft gesetzt werden kann. Nicht Gutachten, wie im TSG, sondern einfache Aussagen des begleitenden Psychotherapeuten, Endokrinologen, Chirurgen oder auch Hausarztes, der oder die die Transition begleitet und bestätigt, das eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Transidentität vorliegt. Wenn die Begleitung länger als die im Gesetz genannte Bedenkzeit vorliegt, kann diese entfallen.

  • 2.
    Hinweis auf das Hausrecht – die Schutzraumdiskussion.

    Wenn ich eine Toilette oder Umkleide betrete, hat mich noch nie jemand nach meinem Ausweis gefragt. NIE. Auch nicht, wenn ich als cis Frau die Männertoilette benutze (ja, kommt vor – wenn die Schlange vor dem Damen WC mal wieder zu lang ist oder ich die „richtige“ Toilette aufgrund räumlicher Trennung gerade nicht finde). Warum sollte das auch jemand tun? Zum einen gibt es keine Eintrittskontrolle, zum zweiten wird bei Irritation und ggf. Ansprache der (vermeintlich fehlgeleiteten) Person die äußere Erscheinung beurteilt. Das ist so, das bleibt so, auch wenn die eine oder andere Person dabei misgendert wird, weil das passing nicht passt (sowohl bei trans als auch cis Personen möglich).

    Gerade aufgrund der fehlenden Eintrittskontrolle aber auch aufgrund mangelnder Hilfe im Bedarfsfall kann ich solche Räume auch nicht als „Schutzräume“ sehen. Jeder, der will, kommt auch herein. Geschützt ist dort niemand. Anders sieht es natürlich bei Frauenhäusern aus. Aber in diesem Fall wird sowieso individuell der Fall und Bedarf geprüft – einfach mit Perso wedeln und hineinmarschieren ist nicht. Gott-sei-dank. Darum ist hier kein Missbrauch zu befürchten.

    Spezialfälle sind die genannten Saunen und Gefängnisse. Natürlich gibt es voyeuristisch veranlagte Menschen, die möglicherweise aufgrund ihrer sexuellen Neigungen gerne einen Platz in einer Damen-Sauna sichern würden. Aber dafür den Aufwand mit Namensänderung, Outing etc.? Bei einem offensichtlich männlichen Passing? Ich bezweifele, dass solche Männer sich für das kurze Vergnügen dermaßen lächerlich machen würden. Sicher, es gibt auch trans Frauen, die sehr männlich wirken und damit leben können – es also nicht verstecken oder bekämpfen. Und ich bewundere die psychische Stärke dieser Frauen! Aber ein Mann, der es nötig hat, sich einen Platz in der Damensauna zu erschwindeln, hat eine solche Stärke nicht.

    Bei Gefängnissen ist es schwieriger. Der Aufenthalt ist weniger kurzzeitig wie in der Sauna, der eine oder andere Mann würde möglicherweise schon das SBG in Anspruch nehmen, um ins Frauengefängnis zu kommen. Allerdings sollte in diesem Fall – so wie in der „Verteidigungsfall-Klausel“ der zeitliche Zusammenhang berücksichtigt werden. Und in hier, wie in 1 auch schon ausgeführt, die Ernsthaftigkeit durch Begleitung belegt werden können.

  • 3.
    Womit wir auch schon bei der Wehrpflicht sind. Im Verteidigungsfall gilt der Geschlechtseintrag, der 2 Monate vor Eintritt der Krise bestand.
    Im V-Fall wären alle Männer wehrpflichtig, Frauen nicht. Eine Tatsache, die grundsätzlich zu hinterfragen ist – aber das ist hier nicht das Thema. Ja, ich könnte mir vorstellen, dass die Motivation groß genug sein kann, um eine Änderung des Geschlechtseintrags vornehmen zu lassen. Mindestens divers oder kein Eintrag – das könnte Mann dann durch aus in Erwägung ziehen. Darum halte ich den Passus auch nicht für unzumutbar. Allerdings würde ich auch hier die medizinische Begleitung wieder ins Spiel bringen, die den zeitlichen Zusammenhang aushebeln kann.
  • 4.
    Selbstbestimmung erst ab 18 – oder mit Einverständnis der Eltern.

    Trans Kids und Jugendliche sind sehr reflektiert und wissen meist sehr gut, wer sie sind. Das Problem: Viele cis Jugendliche sind in der Pubertät häufig genauso uneins mit sich selbst und könnten zu früh falsche Entscheidungen treffen. Allerdings: Es handelt sich hier doch NUR um einen Geschlechtseintrag und Vornamen! Es geht um keine unumkehrbaren Entscheidungen wie Hormonersatztherapie oder geschlechtsangleichende OPs. Dies ist nur mit psychotherapeutischer Indikation und teilw. auch erst ab 18 möglich. Von daher bricht keine Welt zusammen, wenn ein junger Mensch seinen Eintrag ändert und nach ein paar Jahren wieder zurückändert. Im Gegenteil: Erst das Ausprobieren ermöglicht diesem Menschen herauszufinden, wer er wirklich ist, ob es ihm im anderen / keinem Geschlecht besser geht.

    Grundsätzlich wäre dafür keine Änderung des Eintrags nötig. Sondern die Rückendeckung der Eltern, der Schule und Freunde. Wenn hier alle Beteiligten dem / der / dey Jugendlichen Verständnis und Toleranz entgegenbringen, ist damit de facto mehr getan als mit einem bürokratischen Akt. Dazu gehört natürlich auch, Zeugnisse auf den Wunschnamen auszustellen, selbst wenn der Deadname in offiziellen Listen (auch) noch geführt wird.

    Schwierig wird es, wenn neue Dokumente auf den Deadname ausgestellt werden müssen (z.B. der Führerschein) oder durch Übergang in Ausbildung oder Studium die Transidentität aufgrund des noch nicht geänderten Eintrags offengelegt und thematisiert werden muss, obwohl die Person bereits stealth leben könnte. Allerdings wäre die rechtzeitige Änderung in solch einem Umfeld bei dem derzeitigen Entwurf ohne weiteres gegeben.

    Das Problem sind Eltern, die ihre Kinder nicht auf ihrem schwierigen Weg der Transition unterstützen. Und hier machen die Formalia des SBG den geringsten Anteil des Problems aus. Kinder und Jugendliche leiden, wenn sie von ihren Eltern nicht so akzeptiert werden, wie sie sind. Btw: Erwachsene auch! Aber Minderjährige sind ihren Eltern ausgesetzt. Das gilt für Missbrauch, häusliche Gewalt etc. – und genauso auch für nicht akzeptierte Transidentität. Die unglaubliche hohe Suizidalitätsrate von trans Kids ist erschreckend – im Falle von trans Kids, die ein unterstützendes Elternhaus haben, sinkt diese Rate allerdings schon in erheblichem Maße – wenn dann das Umfeld wie Schule, Nachbarschaft etc. auch unterstützt, ist die Rate nicht höher als bei cis Kids. Ach?!

Das SBG: pures Misstrauen gegenüber Männern

Bei näherer Betrachtung ist der vorgelegte Entwurf des SBG nicht unbedingt transfeindlich. Es trieft vor Misstrauen cis Männern gegenüber - und das zulasten von trans und nonbinary Personen! Die Angst vor Missbrauch durch Männer, die Frauen schaden oder - im Wehrpflichtfall - sich drücken wollen, scheint unermesslich zu sein. Ist sie aber auch berechtigt?

Ich bin kein Mann. Mir sind solche Männer, wie durch diverse feministische Gruppierungen in der SBG-Diskussion beschrieben, auch nie begegnet. Vielleicht habe ich besonderes Glück. Vielleicht bin ich auch nur besonders gut und stark erzogen, um mit schwierigen und möglicherweise gefährlichen Personen und Situationen intuitiv gut umgehen zu können. Ich weiß es nicht. Aber wäre ich ein Mann und wäre solchen Vorurteilen ausgeliefert: Ich würde alles tun, um derlei Behauptungen zu widerlegen!

Ein Ansatz dafür wäre ein besonders sensibler Umgang mit Frauen. Offensichtlich gibt es sehr viele Situationen, in denen sich Frauen gefährdet fühlen. Was könnte ich als Mann tun, um zum einen nicht als Gefahr wahrgenommen zu werden oder zum anderen Frauen vor Handlungen anderer Männer zu schützen?

Von Emanzipation zu Männerhass

Emanzipation bedeutete für mich eigentlich immer Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Geschlechter. Der heutige Feminismus nimmt allerdings mittlerweile in vielen Fällen Ausmaße an, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Hass hat für mich nichts mit Emanzipation zu tun. Schon gar nicht, wenn er gegen ganze Menschengruppen geht, die sich nicht aus freien Stücken zusammengefunden haben sondern nur zufällig gleiche Merkmale aufweisen: Geschlechtsidentität, Hautfarbe, soziale Herkunft. Die Liste lässt sich beliebig forsetzen. Gegen wen richten sich Hass und Misstrauen als nächstes?

Mit dem SBG könnte die Politik beweisen, dass Hass und Misstrauen einzelner kleinen, aber sehr lauten Gruppen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Sie tut es offensichtlich leider nicht. Und wie immer: zulasten einer sehr kleinen und schwachen Minderheit, die einfach nur ihr Leben leben will.

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Gerald Kaufmann

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Vertrieb und Technik sind meine Themen. Ich blogge über alles, was mir bei meiner Arbeit und in meinem Leben schreibenswert erscheint.
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Dagmar Merbecks

Mediendesignerin
Mediendesignerin mit besonderer Vorliebe fürs Web, die WYSIWYG für überflüssig hält. Weitere Interessen: Marketing, Social Media, Technik - und natürlich Paderborn!